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H.H.J. LUEDIGER

    

LOGIC and TIME

    

Essays
in the Nature of
Language and 
Knowledge



 

ABOUT

 

THE AUTHOR

    

H.H.J. Luediger, born in 1955 in Borken (North-Rhine Westphalia), holds a Dipl.Ing. in telecommunication sciences and is an independent essayist and researcher.

    

THE BOOK

    

Logic and Time is a collection of mostly unpublished essays written between 2012 and 2017. Although the book chiefly discusses a variety of topics including language, logic, the sciences and their theories, it is an indirect approach towards the problem of time.

TABLE OF CONTENTS

     

 

PREFACE

  • Is the Science Becoming the Enemy of Knowledge?
  • Can Kant and Darwin go Together?
  • The Syntax of Metaphor and Model
  • Explanation, Causation and the Unity of Language
  • The Two Faces of Evolution
  • The Failure of Affirmation and the Unreality of Time
  • The Power and Poverty of Mathematics in Physics
  • A Linguistic Take on Gravitation
  • The Trouble with Time
  • Still Hanging in the Language –
    Quantum Mechanics between Bohr and Heisenberg
  • The Making of Time
  • Mind the Americas
  • On Machine and Human Learning
  • Constitutive Causes and Regulative Purposes

EPILOGUE: Sympathie für den Teufel

EXCERPT

     

VII.

From: The Power and Poverty of Mathematics in Physics

2015

 

From Zeno... to Newton... and back

Physics is deeply rooted in ‘motion’, which classical Greek philosophy had finally abandoned as a legitimate subject of philosophical discourse, because discrete argument of any kind had shown that motion simply ‘froze’ or disappeared when rationally questioned and explained. Absent a suitable ‘fluid’ argument, ‘motion’ should not be paid noteworthy intellectual effort to for two millennia to come. It was left to Newton to escape the paradoxical nature of motion through the use of a novel kind of mathematics, and his escape was so convincing, that his laws of motion were considered as a special category of physics by Kant, that is, as pure physics. Pure physics, in Kant’s theory of science, contrasts with empirical physics which, rather than being a priori and thus pure, has been ‘taken from’ the phenomena in the sense of counterfeit or simulacrum. In standing for something else, namely the phenomena, empirical physics remains affirmatively attached to them and thus belongs to a different epistemological category than pure physics, regardless how much and what kind mathematics it involves. Kant makes a significant distinction between natural, at his time solely Newtonian, law and what today would be called empirical model, i.e. between intuition and representation. That is, the metaphysical foundations of physics, which the phenomena are – more precisely the human linguistic-bodily constitution – open up two disparate scientific avenues, where intuition adds to the literally time-less linguistic

foundations and representation endeavours to explain those logically-temporally, i.e. in grammatical-historical time. The epistemological difference between both is that the former is constitutive of knowledge, i.e. synthetic, whereas the latter is dissective, i.e. analytic. Pure reason seems to have its determining measure in and of itself and it is the timelessness of the ‘that’ versus the processuality of the ‘how’ which makes Kant distinguish between pure and empirical science. But what, then, is ‘pure’? Kant’s ‘pure’, I shall argue, is not a positive property of something, but a Spinozean non-positive (negating) relation between some-things, which mathematical logic is too low-dimensional a methodology of reasoning to cope with. Precisely speaking: mathematical logic is one-dimensional and the domain it evokes is time – grammatical-historical, as it were, Humean time. For Kant it appears to be the ‘kind of time’ which determines whether physics is ‘pure’ or ‘empirical’; a priori or aposteriori. What hence I shall argue in this essay is that the ‘world’, rather than positively, is defined by negation in the sense of mutually delimiting (incommensurable, complementary or orthogonal) entities and concepts, the crux of which is that they can augment but neither contradict nor explain one another. Additivity in the sense of augmentation or superposition, in my opinion, is the fundamental trait of human knowledge, which logic (the science of true or false) can neither afford nor analyse. Mathematics lent at least two incommensurable and hence a priori elements to the phenomenal world – natural number and infinitesimality – the latter of which is inseparably tied to motion. Let us retrace the historical evolution of ‘motion’ in some more detail with the aim to shed light on the power and poverty of mathematics in physics.

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Das Ende der Wissenschaft

Die Götter antworten nicht auf Fragen! (Goethe)

H.H.J. Luediger, 05.08.2022

Gemeinhin gilt die neugierige Frage als Ausgangspunkt wissenschaftlichen Fortschritts. Doch wie kann eine Frage nach neuem Wissen, welches wir noch nicht besitzen, überhaupt verständlich sein? Nehmen wir zum Beispiel die Frage: Wie denkt das Gehirn? Eine Frage, die wir glauben sehr gut zu verstehen, ohne daß wir jedoch eine Antwort darauf hätten. Mit der Frageform können wir scheinbar jeden beliebigen a priori gewußten Sachverhalt (z.B. das Gehirn denkt!) in ein wissenschaftliches Problem überführen. Dabei stellt die Frage den schon gewußten Sachverhalt nicht etwa in Frage, vielmehr verlangt sie als Antwort nach einer hinter dem Sachverhalt stehenden Erklärung, nach einem Grund, einer Ursache. Mehr noch, wir erwarten als Antwort ein tieferes, besseres und wahreres Wissen. Das aber heißt, daß eine wissenschaftliche Antwort auf einen interrogativ gefaßten Sachverhalt diesen nachträglich als un- oder vorwissenschaftlich disqualifiziert. Doch wie könnte aus einem zugrundeliegenden falschen bzw. nicht zutreffenden Sachverhalt für wahr(er) gehaltenes Wissen entstehen? In Analogie zum politischen Umsturz trägt diese Paradoxie seit Thomas Kuhn den Namen ‚wissenschaftliche Revolution‘. Entsprechend wird heute Wissenschaft als das beste Wissen einer Zeit verstanden, ganz im Sinne der Wegwerfgesellschaft - ex und hopp. Und was momentan ‚in’ ist, bestimmen staatliche Förderprogramme, an die inzwischen vorrangig aktuelle politische, soziale und künstlerische Maßstäbe gelegt werden. 

Von der Wegwerfwissenschaft bis zur ironischen Wissenschaft ist es nur ein kleiner Schritt, und wenn Wissenschaftler die Strukturen von Tieren simulieren, wie sie auf Planeten mit vielfacher Erdgravitation zu sein hätten, hat sich das Baudrillardsche Simulacrum längst auch der Wissenschaft bemächtigt. Die bei weitem häufigste Phrase in Interviews mit Wissenschaftlern lautet bezeichnenderweise: Ich finde das sehr spannend! All das findet vor der Fassade aufklärerischer Werte und hehrer wissenschaftlicher Methodik statt. Gleichzeitig breiten sich aber Täuschung und Replikationskrise selbst in den ehemals ‚harten‘ Wissenschaften rasant aus, was jedoch nicht verwundern darf, denn das Simulacrum erhebt keinen Anspruch auf Realität sondern auf Emotionalität. Wenn es vielfach ge-liked wird, ist der Zweck schon erfüllt. Der Rezipient sollte daher das Simulacrum nicht mit weniger Ironie aufnehmen als der Urheber in es hineingelegt hat. Und doch ist das Simulacrum kein Scherz; es ist die strategische Ausbeutung der Medien zur Dekonstruktion der Strukturen des Seins.

Dieser Beitrag ist aber nicht dem Simulacrum gewidmet, da es sich bei ihm nicht um eine wissenschaftliche Fehlentwicklung, sondern um eine Art Kunstform der Punkgeneration handelt, die auch die Wissenschaft nicht untangiert läßt. Der Weg der Wissenschaft in die Sackgasse unterlag zwar auch gesellschaftlichen Einflüssen, wurde aber vorrangig durch den alten Gegensatz von Rationalismus und Empirismus bzw. Vernunft und Praxis geprägt. Der größte äußere Einfluß waren die Weltkriege des frühen 20. Jahrhunderts. Sie führten dazu, daß die Vernunft von Philosophen und Wissenschaftlern unter Vorbehalt gestellt wurde, so daß Empirie und Praxis schließlich den Vorrang erhielten, den sie bis heute genießen. Unter dem Begriff der Deflatonierung von wissenschaftlichen Wahrheitsansprüchen (R. Rorty, J. Habermas u.a.) wurde das Selbstverständnis der Sozialwissenschaften, nämlich Geschehnisse in historischer Zeit nach analytischen Methoden zu beschreiben, flächendeckend in die Wissenschaft eingeführt. Dabei fungierte die moderne Physik als Vorreiter und conditio sine qua non. Es gilt also den wissenschaftlich-sozialen Komplex im Übergang von der Klassik zur Moderne zu rekapitulieren. 

Das klassische Verständnis der Wissenschaft beruht auf dem Konzept von Naturgesetzen, von allgemeinen der Vernunft zugänglichen Regelmäßigkeiten des Naturgeschehens. Diese werden entweder als der Natur innewohnend (Realismus) oder ihr von der Vernunft a priori vorgeschrieben gedacht (Idealismus). Im ersteren Fall kann man diese Gesetze durch Beobachtung aus dem Naturgeschehen extrahieren, im letzteren führt erst das Gesetz (die Theorie) zur Beobachtbarkeit, wird also vom Mensch in die Natur hineingelegt. Das Problem dieser konträren Auffassungen liegt in der Unmöglichkeit ein aprioristisch gefundenes Naturgesetz von einem durch Beobachtung gewonnenem zu unterscheiden, denn die Naturbeobachtung ist beiden eigen. Während der Empiriker behauptet, die Gesetze der Natur durch wiederholte Beobachtung aus dieser abgeleitet zu haben, beobachtet der Theoretiker seine spontan gefundenen Theorien ‚im Licht der Natur‘, d.h. mißt sie an ihr auf Widerspruchsfreiheit. In Bezug auf die klassischen Naturgesetze halte ich die epistemologische Kontroverse zwischen Rationalismus und Empirismus für unhaltbar und ideologiegetrieben. Was beide vereint, ist das Erfolgskriterium. Damit ist allerdings kein platter Pragmatismus gemeint, der die Allgemeingültigkeit des Gefundenen immer nur am Beispiel festmachen könnte. Eher besteht das Erfolgskriterium in der Universalität des gefundenen Gesetzes, das nicht ein bestimmtes Problem löst (eine Frage beantwortet), sondern eine (Teil)Wissenschaft im Kontext anderer Wissenschaften begründet und somit das Wissen schlagartig um eine ganze Dimension erweitert. Der Erfolg besteht auch darin, daß sich teils Jahrhunderte alte Fragen als beschämend unsinnig herausstellen. Hätte Newton nur die (himmlische) Bewegung der Planeten in neuer Weise erklärt, wäre seine Theorie vermutlich umstrittenen geblieben, da sie dann in Konkurrenz zum Ptolemäischen Modell der Planetenbewegung gestanden hätte. Tatsächlich decken Newtons Gesetze der Bewegung aber bis heute alle beobachtbaren Phänomene (Erscheinungen im Sinne Kants) korrekt ab, während das raum-zeitliche Weltmodell des Ptolemäus nichts über fallende Steine, die Gezeiten oder Transportvorgänge in der Atmosphäre zu sagen weiß. Der Beginn der klassischen Wissenschaft mit Kepler und Newton besteht in der Ablösung des Modells - man könnte auch sagen des Algorithmus - durch das Naturgesetz. 

Die Theorie Newtons ist daher besonders geeignet, die Abwendung vom Naturgesetz und die Rückkehr zum Modellgedanken in den ‚modernen Wissenschaften’ zu verdeutlichen. Die Periheldrehung des Merkur (die zu seiner Rosettenbahn führt) und die Einstein als Widerlegung der Newtonschen Theorie anführte, beträgt seit der griechischen Antike ein drittel Grad [sic!]. Das ist etwa der Winkel, den der Durchmesser eines Bleistifts im Abstand von zwei Metern aufspannt. Die extreme Winzigkeit der Drehgeschwindigkeit seiner Ellipsenbahn führt dazu, daß sie keine irdischen Phänomene hervorruft, wie etwa die Konstellationen und Phasen der Planeten und Monde. Die Periheldrehung des Merkur-Orbits war daher unbeobachtbar und hatte keinen wahrnehmbaren Einfluß auf das Leben auf der Erde. Sie schied folglich für Newton und bis ins 20. Jahrhundert hinein als möglicher Widerspruch gegen seine Theorie aus. Der Gültigkeitsbereich der Naturgesetze ist aber, wie Kant es sah, auf den Bereich der Erfahrung, d.h. der Phänomene begrenzt. Verallgemeinert ist festzustellen, daß es überhaupt keine Einstein-relativistischen Phänomene gibt; sie kommen in der Erfahrung nicht vor. Was es tatsächlich gibt, sind instrumentell feststellbare Abweichungen von den Newtonschen Gesetzen, Messwerte, die mit ihnen nicht in Einklang stehen. Die Einsteinsche Relativitätstheorie wendet sich, wie fast alle Naturwissenschaften seiner Zeit, unter dem Einfluß einer logisch-empirischen Wissenschaftstheorie - des Positivismus - von den Naturgesetzen ab und dem Modellgedanken zu. Nach Ausschaltung der Phänomene gibt es allerdings keine unabhängige, kategorial verschiedene Instanz mehr, gegen die eine von der Theorie zum Modell degenerierten wissenschaftliche Behauptung falsifiziert werden könnte. Zum Wahrheitskriterium wird daher die innere (logische) Widerspruchsfreiheit der Theorie, bzw. deren Eleganz, wobei banalen Messwerten (Daten) der Rang empirischer Evidenz zugeschrieben wird, obwohl führenden Wissenschaftstheoretikern der Zeit klar war, daß nur Sätzen im Kontext von Sätzen wissenschaftliche Aussagekraft zukommen kann. Doch ohne Referenz zu den Phänomenen - zum Sein - waren keine sinnfälligen Sätze mehr formulierbar, es sei denn um den Preis des Abgleitens ins Märchenhafte. Die ‚neue‘ Wissenschaft war aber nicht nur sprachlos geworden, sondern absurd. Feynman brachte das auf den Punkt: Wer glaubt die Quantenmechanik zu verstehen, hat sie nicht verstanden. Genau an dieser Stelle bog die Physik unter dem Motto shut up and calculate in die Sackgasse ein - sie hatte begonnen Fragen zu beantworten und katapultierte sich damit aus dem Hier und Jetzt der Phänomene in hollywoodreife Urknall- und spooky Quanten-Scheinwelten. Das Systemisch-Komplexe der neuen Wissenschaften erforderte die Ausschaltung sinnfälliger Sprache. Man könnte aber auch sagen, daß sich die Sprache der Wissenschaft entzog und diese dadurch gegenstandslos wurde. Die tiefgreifende Krise der gesamten ‚theoretischen Physik‘ zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Konsequenz einer über die Erfahrung und Erfahrbarkeit hinausgehenden „Vernünftelei“, die in der Logik, d.h. in der affirmativen Beantwortung von Fragen ihren Ursprung hat. Die Götter antworten nicht auf Fragen war aber schon Goethes trockene Zusammenfassung der sich anbahnenden Fragelust der Moderne.

Die Theorien der klassischen Wissenschaften teilen meiner Meinung nach die Struktur der Metapher. Die literarische Metapher überzeugt durch die Verbindung zweier disparater Domänen (z.B. Ein Mann wie ein Baum). Die wissenschaftliche Metapher geht einen Schritt weiter. Ausgehend von den Phänomenen (Tag und Nacht, Wind, Wärme-Kälte, Gezeiten, Wolken, Blitz und Donner, etc.) werden ihnen theoretische Entitäten als ‚Verursacher‘ gegenübergestellt, denen gemeinsam ist, daß sie sich der direkten Wahrnehmung entziehen (Erdrotation, Atome, Moleküle, Gravitation, Elektrizität, Felder, elektromagnetische Wellen, Gene, etc.). Die ‚Ursachen‘ der Phänomene nehmen dabei die Funktion eines Jokers an, d.h. man kann ihnen beliebige Qualitäten und Vermögen zuschreiben, sofern sie im Kontext des gesamten Wissens und damit semantisch widerspruchsfrei bleiben. Ihre Verifikation dagegen wäre offensichtlich ein absurdes Unterfangen. Die völlige Andersartigkeit von Phänomen und ‚Ursache‘ verbietet es folglich eine im strengen Sinn verstandene kausale Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Aus diesem Grund konnte Hume die Kausalität nicht entdecken, die Kant dann im Bereich des Geistes verortete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging man im Abgesang auf den Idealismus deshalb zum Begriff der ‚Erklärung‘ über, der zwar gleichermaßen an der Inkommensurabilität von theoretischen Entitäten und Phänomenen scheiterte, aber nach der positivistisch-empiristischen Reinigung der Naturwissenschaften von metaphysischen Beimengungen im Rahmen modelltheoretischer Überlegungen bis heute beibehalten wurde. Faktisch behauptet das wissenschaftliche Modell unserer Zeit aber keine Erklärungen, sondern statistische Korrelationen zwischen Datensätzen, die durch ein mathematisches Modell miteinander verbunden sind. Die Korrelation aber drückt sich in Prozenten aus und ist damit dezidiert a-semantisch. Sie bedarf folglich der Interpretation, was aber dem Gusto Tür und Tor öffnet. Wissenschaft im 21. Jahrhundert ist meinungsgetrieben und damit Gegenstand und Spieler in der Welt der Medien.

Die Gesetze der klassischen Wissenschaften gelten nach Kant im Bereich der Erfahrung. Innerhalb dieses Bereichs sind sie invariant gegen Orts- und Zeitverschiebungen. Sie haben zeit-lose Geltung jenseits aller Geschichtlichkeit. Ein kurzer Blick z.B. auf die Klimatologie, die sich mit einmaligen und unwiederholbar komplexen Vorgängen in historischer Zeit beschäftigt, macht den Bruch, der in der Wissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts stattfand überdeutlich. Er zeigt sich besonders im jeweiligen Verständnis des Begriffs Vorhersage. Klassisch hatte die Vorhersage die Bedeutung einer aus den Naturgesetzen ableitbaren Neuigkeit, wie z.B. die präzise Vorhersage der Existenz und Position des Planeten Neptun auf Basis der Newtonschen Gesetze oder die Vorhersage der Existenz verschiedener chemischer Grundstoffe auf der Basis des Periodensystems der Elemente. Popper bezeichnete die Vorhersagekraft einer Theorie als deren Folgerungsmenge. Völlig anderer Natur ist die Bedeutung der Vorhersage in den modellbildenen Wissenschaften, wo sie einen zukünftigen Systemzustand bezeichnet. Das Kennzeichen des wissenschaftlichen Modells ist seine Eingebettetheit in geschichtliche Zeit. Da man aber über die geschichtliche Zukunft nichts wissen kann - die Zukunft ist unbedingt und unwandelbar offen - besteht jedes wissenschaftliche Modell aus einem Konglomerat von Naturgesetzen (Wissenselementen) und blanker Spekulation (Nichtwissen). Das Mischungsverhältnis dieser Komponenten bestimmt den Grad der Korrelation des Modells mit der Realität. Er ist eins für reine Naturgesetze (‚kausal‘) und geht mit zunehmender Komplexität des Modells gegen null. Börsenkurse sind ein Beispiel für die unbedingte Offenheit der Zukunft. Könnte man Börsenkurse vorhersagen, wäre das das Ende der Börsen. Ein Modell mit der Korrelation eins würde sich seines Untersuchungsgegenstands berauben, weil es die Dimension, in der es besteht, nämlich die Zeit, eliminieren würde. Das Naturgesetz dagegen beschreibt keine Entwicklung in historischer Zeit, sondern eine Wissensfigur. Aus genau diesem Grund ist die ‚Zeit‘ in der klassischen Physik ein bloßer Parameter, mit dem sich diese Figur beschreiben läßt. Wenn wir sagen: „in einer Stunde“, sagen wir effektiv: „wenn sich die Erde um fünfzehn Grad gedreht hat“. Die Zeit, wie wir sie heute als geschichtlich verstehen, ist eine gesellschaftliche (romantische) Konstruktion des 18. und insbesondere des 19. Jahrhundert, also der Aufklärung. Sie mißt zufällige und unvorhersagbare Ereignisse als Abweichung von der Erwartung an einem Naturgesetz, d.h. an eben jener Erwartung. Die Abweichung von der Erwartung selbst ist zunächst reinste Zäsur, ein inhaltsloses und grundloses Geschehen, bis gegebenenfalls eine klassische Theorie die Abweichung von der Erwartung aufhebt und in Wissen verwandelt. Die modellbildenden Wissenschaften führen die ihnen innewohnende Unschärfe ihrer Aussagen weniger auf grundlegende methodologische Schwächen zurück, als auf die Lückenhaftigkeit, Unvollständigkeit und Unzuverlässigkeit der Daten, die in das Modell Eingang finden. Entsprechend korrigieren sie ihre Prognosen sobald neuere, bessere oder mehr Daten vorliegen bzw. weitere Parameter in das Modell integriert wurden. Das aber erinnert stark an die Vorhersagekraft von: Zeige mir Deinen Personalausweis und ich sage Dir wie Du heißt. 

Der Kern heutiger Wissenschaftsauffassung besteht mit wenigen Ausnahmen im Glauben an erkennbare und vorhersagbare Prozesse in historischer Zeit. Die computerbasierte Wissenschaft glaubt trotz permanenten Versagens (siehe z.B. Google „flue“) immer noch an die wissenschaftliche Realisierbarkeit des Orakels, vorausgesetzt es stehen Datenmengen zur Verfügung, die das schon erreichte gigantische Ausmaß noch einmal um ein Vielfaches übertreffen. Dies würde (wenn es realisierbar wäre) ultimativ jedoch nur das unterliegende Weltmodell zeitlich einfrieren, die Abweichung von der Erwartung und folglich die Zukunft verhindern und so die Vorstellung einer Entwicklung in geschichtlicher Zeit torpedieren. Die völlig unterschiedlichen Konstruktionsweisen des Ptolemäischen Weltmodells und der Newtonschen Theorie der Bewegung machen deutlich, warum ein Modell prinzipiell nicht gegen ein Naturgesetz konvergieren kann. Die praktische Konsequenz jedes Modells mit gegen eins gehender Korrelation ist jedoch seine Selbstzerstörung durch Rückwirkungen der Datenaquisation auf genau diese Daten. So steht beispielsweise der Quantencomputer vor dem Dilemma entweder zu funktionieren oder quantentheoretisch zu sein, denn die Quantentheorie wird als Theorie der Entwicklung von Quantenzuständen in geschichtlicher Zeit gedeutet. Vor dem gleichen Dilemma steht die Epigenetik als zeitliche Animation der Genetik, der größere Teil der Bewußtseins-/Gehirnforschung und schon immer die Sozialwissenschaften. Sie alle unterliegen dem irrigen Glauben, daß es Zeitgestalten gibt, wie es Gestalten im Raum gibt. Sie alle akzeptieren nicht den Kaufpreis für das klassische Wissen des DASS, d.h. das Nicht-Wissen-Können des WIE. Denn Allwissenheit wäre ultimativ identisch mit totaler Unwissenheit. Das Dilemma aller wissenschaftlichen Modelle, die auf geschichtlicher Zeit beruhen, d.h. aller prädiktiven und retrodiktiven Modelle, besteht darin, daß ihre Bewahrheitung sie ad absurdum führen würde, weil ihre Zeitlichkeit momentan zur Räumlichkeit kollabieren würde. Dieser Sachverhalt ist in: Die Revolution frisst ihre Kinder festgehalten. Damit ist ausgesagt, daß der Ausbruch aus der Gesetzhaftigkeit (die Revolution) notwendig in der Gesetzhaftigkeit enden muss und sich damit pervertiert. Die Zukunft ist eben nicht ein auf uns zukommendes und erkennbares, geschweige denn gestaltbares Sein - sie kann uns nur als Abweichung von der Erwartung in den Rücken fallen - ob als Lottogewinn oder Erdbeben. Dies ist der wahre Anfangspunkt der Wissenschaft und ich bin mir sicher, daß in den Schubladen von Wissenschaftlern tausende von hochinteressanten Forschungsergebnissen vergilben, die nicht veröffentlicht wurden, weil sie eine Abweichung von der Erwartung statt Übereinstimmung mit der Lehrmeinung konstatieren. Die Wissenschaft hat sich jedoch als Rechtfertigungs- und Reparaturbetrieb des Politischen in ‚Exzellenzuniversitäten‘ eingerichtet, wo sie zusammen mit ‚Kulturschaffenden‘ dem Zeitgeist frönt. Über ‚Exzellenz‘ und ‚Kultur‘ richten aber bekanntlich (und zum Glück) die Nachgeborenen.

Eine der wesentlichen Ursachen für die Zeitlichkeit der Moderne liegt im falschen Glauben an den Determinismus der Naturgesetze und der daraus folgenden Ablehnung der klassischen, ‚mechanistischen‘ Wissenschaft. Zunächst gilt, daß in den klassischen Theorien der Bewegung (der Mechanik und Wellentheorie) keine geschichtliche Zeit auftaucht. Wenn man dann noch den Naturgesetzen das nach Kant notwendige Ich denke... voransetzt, geraten sie zur Voraussetzung der Freiheit, denn wer nicht weiß was er tut, bzw. was sein Tun bewirkt, ist nicht nur nicht frei sondern handelt grob fahrläßig. Die Freiheit des Handelns nach Gesetzen verlieren wir momentan im Epizentrum eines Erdbebens, in einer Revolution oder im Krieg, d.h. in jedem originären Geschehen in geschichtlicher Zeit. In der dichten Folge von Abweichungen von der Erwartung werden wir zu Getriebenen der Umstände, zum Spielball unbekannter Kräfte und somit unfrei. Es ist daher eine Illusion zu glauben, daß wir uns im Schaukelstuhl eines klassischen Beobachters der geschichtlichen Zeit hingeben könnten. Faktisch verliert der ‚Zeitreisende‘ die Möglichkeit jeder Beobachtung überhaupt, weil es ohne Gesetze nichts zu beobachten gibt (wir erinnern uns alle an die Schuldenkrise und Frau Merkels: Wir fliegen blind). Die einzige Konstante in geschichtlicher Zeit ist die Veränderung, und zwar nicht die Veränderung von etwas zu etwas anderem, sondern die Veränderung als solche. Die im heutigen Wissenschaftsbetrieb rasant gegen null gehende Halbwertszeit der Relevanz wissenschaftlicher Untersuchungen (Meine Studie hat gezeigt...) und technologischer Entwicklungen macht dies deutlich und das Micro-Trading an der Börse zeigt wohin die Zeitreise geht: immer mehr Daten, bessere Modelle (Algorithmen) und schnellere Rechner lösen das Problem der Vorhersagbarkeit der Zukunft nicht. Statt dessen erzeugen sie gefährliche Eigendynamiken, die z.B. den Sinn der Börsen und Banken als Finanzierungsinstrument der Industrie oder die grundsätzliche Nützlichkeit der Datenübertragung untergraben. Der Weg der Wissenschaften in die Sackgasse führt von den klassischen Naturgesetzen über deren Hinterfragung und der damit verbundenen Verdinglichung der Zeit zu a-semantischen bzw. dadaistischen Komplexen, die den Gegenstand der Untersuchung bis zur Unkenntlichkeit mathematisieren und algorithmisieren, bevor dieser als intractable sukzessive von der Forschungsagenda verschwindet. Brusselator und Apfelmännchen (Mandelbrotmengen) sind längst kein Thema mehr und Santa Fe, einst internationales Zentrum der Fraktal- und Komplexitätsforschung, ist wieder in den Schlummer einer neu-mexikanischen Kleinstadt gefallen. 

Die Spätaufklärung hat uns auf eine Zeitreise geschickt, die kein Ziel hat, es sei denn das allgemeiner Wertlosigkeit und der daraus folgenden Dysfunktionalität. Die Antworten einer rationalistischeren (vernünftigeren) als der unseren Zeit haben sich als produktiv anwendbar aber nicht als sinnfällig hinterfragbar herausgestellt. Das 20. Jahrhundert hat uns via Transformation der Naturgesetze zu Modellen in die Komplexitätsfalle geführt, die eine Zeitfalle ist, in die vernetztes Denken nur tiefer und schneller hineinführt. Die sinnstiftende Synthese, das Zusammendenken, ist keine Eigenschaft logisch-empirischer Analyse. Zeitgestalten repräsentieren kein Wissen sondern willensgetränkte Illusionen. Es gilt daher das Wort Kants zu berücksichtigen, nach dem menschliche Erkenntnis Fragen hervorbringt, die gleichermaßen unvermeidlich und unbeantwortbar sind. Die verständliche Frage kann nicht mehr sein als ein rhetorisches Stilmittel. Als Ausgangspunkt der Forschung missverstanden, kann sie nur auf die falsche Spur des Modells (der Erklärung) locken. Der Ausweg aus der wissenschaftlichen Sackgasse erfordert Antworten auf Fragen, die nie gestellt wurden. Dazu bedarf es Widerspruch in Galileischem Ausmaß. Doch es ist mehr als fraglich, ob ein verschulter und auf blindes experimentieren und innovieren abgestellter Wissenschaftsbetrieb, der sich durch einen multilateralen ‚Nichtangriffspakt’ hoffnungslos zergliederter Spezialdisziplinen erhält, diese Aufgabe leisten kann. Aber vielleicht ist dies die Stunde der Philosophie.

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